»Das beste Gegengift gegen Klima-Angst ist Wirksamkeitserfahrung.«
Katharina van Bronswijk ist Psychologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis und Sprecherin der ›Psychologists and Psychotherapists for Future‹
Katharina van Bronswijk, Sie sind als ›Psychologists for Future‹ Teil der ›For Future‹ – Bewegung. Was waren die Anfänge und Ziele, sich zusammenzuschließen?
Also zunächst war es ja so, dass sich die ›Fridays for Future‹ 2018 gegründet haben. Im Frühjahr 2019 folgten die ›Scientists for Future‹, die sich hinter Fridays for Future gestellt haben. Damals sagte Christian Lindner, dass die Kinder und Jugendlichen das doch bitte den Profis überlassen sollen; dann sind die Profis eingesprungen und haben gesagt: »Die haben übrigens recht, die Kinder und Jugendlichen«.
Und im Zuge dessen haben sich Kolleginnen auf Facebook ausgetauscht, dass es ja irgendwie nicht sein könne, dass die Psychologie als Wissenschaft wieder nichts sagt. Deshalb haben sie herumgefragt, wer Lust hätte, die ›Psychologists for Future‹ aufzubauen. Wir haben dann eine Stellungnahme geschrieben und einfach losgelegt. Also es war – glaube ich – erst einmal gar keine große Überlegung, sondern einfach ein wichtiger Impuls. Und dann ist diese Organisation sehr organisch gewachsen. Wir sind mittlerweile ein eingetragener Verein mit über 300 Mitgliedern, 1.000 Aktiven in Deutschland. Wenn man es zusammenfasst, dann ist unser Ziel, das Wissen der Psychologie der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, damit wir diese Transformation möglichst gut bewältigen und den Klimawandel und die anderen planetaren Grenzüberschreitungen aufhalten.
Die vergangenen Sommer waren global die heißesten in der Messgeschichte. Auch die Oberflächentemperatur der Meere: so warm wie nie zuvor. Dürren, Brände, Extremwetter, Starkregen, Überschwemmungen – es ist dieses bedrohliche ›wie nie zuvor‹, das uns durch die letzten Jahre begleitet hat. Was macht das mit uns als Gesellschaft, mit jedem und jeder einzelnen von uns?
Wenn man sich mit den wissenschaftlichen Fakten auseinandersetzt, ist es natürlich erst mal beängstigend, wenn man wirklich versteht, wie ernst die Lage ist. Das Problembewusstsein ist bei einem Großteil der Bevölkerung tatsächlich vorhanden. Die meisten fühlen sich aber nicht so recht zuständig für die Lösung, weil sie sagen, das müsse die Politik lösen oder die Wissenschaftler müssen da noch mehr erforschen oder die Wirtschaft muss irgendwie was tun. Ich glaube, das erklärt auch, warum wenig Emotionalisierung sichtbar ist. Wenn man über Umfragen erhebt, wie es den Menschen mit dem Klimawandel geht, dann äußern eigentlich alle, also 2/3 bis 95 Prozent der Menschen, dass es sich um ein ernstes Problem handelt, dass dringend gehandelt werden muss und dass auch Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder Wut in Verbindung mit diesen Themen stehen.
Im Alltag ist das aber meistens nicht so spürbar. Erstens, weil wir nicht so sehr darüber sprechen und zweitens, weil die Klimakrise eine Krise ist, die sich über einen sehr langen Zeitraum entfaltet. Chronische Krisen treiben uns nicht so richtig vom Sofa hoch und in die Handlung, weil man sich leider und fatalerweise auch an diese Katastrophenmeldungen und die neuen Entwicklungen gewöhnen kann. Weil es eben nicht ein Einschlag ist, und dann ist alles anders, sondern eine schleichende Entwicklung. Und da ist das menschliche Gehirn leider nicht dafür gemacht, effektiv darauf zu reagieren.
Etwa jeder zweite Mensch und vor allem die Jüngeren, so im Alter von 16 bis 25, machen sich große oder auch extreme Sorgen über den Klimawandel. Was unterscheidet in Ihrer Perspektive eine ›Sorge‹ von ›Klima-Angst‹?
Es kommt darauf an, wie man das Wort Klima-Angst versteht. Da gibt es tatsächlich auch in der Forschung noch keine einheitliche Definition. Wenn ich eine potenzielle oder tatsächliche Gefahrenlage wahrnehme, so wie den Klimawandel, dann ist es vollkommen normal, sich Sorgen zu machen und vielleicht auch, Angst zu empfinden als emotionale Dimension der Reaktion.
Sorge ist dann vielleicht eher die gedankliche Facette, mit der ich darauf reagiere, weil das evolutionär sinnvoll ist. Also wie eine Warnleuchte, die anspringt und uns davor warnt, dass hier eine Gefahr ist. Deswegen ist es gut, dass wir ein Stück weit Angst und Sorge empfinden, wenn wir uns mit dem Klimathema beschäftigen. Behandlungsbedürftig wird es dann, wenn der Umgang mit diesen Emotionen nicht mehr gut gelingt und wenn die Alltagstauglichkeit eingeschränkt ist. Etwa wenn ich mir so viel Sorgen mache, dass ich nicht mehr schlafen kann und deswegen nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen kann. Wenn ich immer Katastrophenbilder vor Augen habe und deswegen dauerhaft unter Strom stehe. Das sind Phänomene, wo man dann sagen würde, das ist eine behandlungsbedürftige Klima-Angst. Wobei Klima-Angst keine Diagnose ist. Es ist erst einmal nur ein Fachbegriff, der ein Konstrukt beschreibt, das wir auch in der Psychologie erforschen. Die allermeisten Menschen haben tatsächlich Sorge vor dem Klimawandel.
Wie können Menschen mit ihrer Sorge oder Klima-Angst umgehen? Welche Strategien sehen Sie, und was wäre dann ein erster Schritt?
Erstmal ist die Frage wichtig, wie viel Information ich wirklich brauche, um das Problem der Klimakrise zu verstehen. Wichtig ist, nicht ins Doomscrolling zu verfallen. Doomscrolling heißt, sich die ganze Zeit Informationen über die aktuellen Katastrophenlagen zu suchen und sich da so ein bisschen drin zu wälzen.
Das dient zwar vielleicht erst einmal dem Gefühl von Kontrollierbarkeit, weil ich über ganz viele Informationen verfüge. Aber mittelfristig führt es dazu, dass ich Fortschritte im Umgang mit der Klimakrise ausblende. Es ist wichtig, einen ausgeglichenen Nachrichtenkonsum zu haben. Das ist relativ schwierig, weil unsere Nachrichten eigentlich immer Katastrophen kommunizieren und wenig der Fokus darauf gelegt wird, was schon Gutes umgesetzt wird. Man könnte sich informieren, ob es Newsseiten mit guten Nachrichten als Ausgleich zu Katastrophenmeldungen gibt. Das kann helfen, das Geschehen in eine Perspektive zu setzen, dass es einerseits diese negativen Aspekte gibt, auf der anderen Seite aber auch ganz viele Leute an ganz vielen Orten schon an den Lösungen arbeiten – und das ist ein wichtiges Stichwort: Das beste Gegengift gegen Klima-Angst ist Wirksamkeitserfahrung. Das heißt eben nicht mehr, ohnmächtig ausgeliefert zu sein angesichts so einer riesigen globalen Krise, sondern für sich herauszufinden: Was kann ich eigentlich machen, wie kann ich Teil der Lösung sein und nicht nur Teil des Problems? Und dafür kann man sich fragen: Was ist das, was ich am liebsten mache? Was ist das, was ich am besten kann, was ich für diese Transformation und für die Lösungen einbringen kann? Wo gibt es vielleicht Projekte, an denen ich mich mit anderen gemeinsam beteiligen kann. Denn es geht nicht nur um individuelle Konsumentscheidungen. Die sind schon wichtig, aber die verändern eben nicht das gesellschaftliche System, das aktuell noch deutlich mehr zur Krise beiträgt, als wir als Individuen das tun. Sondern eben auch zu schauen, wie ich dieses gesellschaftliche System verändern kann. Also: wo kann ich mit anderen Menschen gemeinsam in einer kollektiven Wirksamkeit, auf der strukturellen Ebene Veränderungen anstoßen? Das heißt, wie kann ich Pionier des Wandels werden?
Welche Rolle spielt das Gefühl der Machtlosigkeit beim Thema Klima-Angst? Wie halte ich Frustrationen aus, wenn man beim Engagement keinen sichtbaren Erfolg erzielt?
Ja, ich glaube, dass es wichtig ist, eine gute Balance zu finden aus verschiedenen Aspekten. Also einerseits dem Engagement, der kollektiven Wirksamkeit, dem Tätigwerden, dem Teil der Lösung werden und auf der anderen Seite sich selbst zu erlauben, trotz allem Lebensglück zu empfinden, auch mal schöne Dinge zu machen, die Krise mal Krise sein zu lassen, das auch mal auszublenden und vielleicht mit Freunden einen schönen Abend zu verbringen, ohne sich mit dem Klimawandel beschäftigen zu müssen.
Das beinhaltet auch in gewisser Weise Akzeptanz, also die Akzeptanz der eigenen Begrenztheit, die Akzeptanz der Größe des Problems und vielleicht auch die Akzeptanz dessen, dass es sein kann, dass wir es nicht schaffen, das Problem aufzuhalten. Also ich glaube, dass darin sehr viel emotionale Arbeit steckt – auch Trauerarbeit. Aber eigentlich ist die Kernkompetenz im Umgang mit globalen Krisen, auf eine gute Art und Weise sämtliche Emotionen kanalisieren zu können, also sowohl die Angst vor den Katastrophen als Antrieb zu nutzen, die Empörung, die Wut über politische Untätigkeit zu nutzen, um politisch aktiv zu werden, aber auch die Trauer als Verbündete zu sehen, als den Heilungsschmerz der Seele, der uns hilft, das zu verarbeiten, was wir eben nicht retten können, was verloren gehen wird und das akzeptieren zu lernen.
Schellnhuber spricht im SPIEGEL vom Verlust seelischer Geborgenheit in der Natur. »Wir verlieren gerade überall unsere klimatische Heimat. Die unbeschwerten Sommer unserer Jugend sind verloren. Das ist todtraurig. Und wenn wir immer tiefer in die Krise geraten und die Antwort eine törichte, populistische oder gar faschistische ist, gefährdet es das Leben unserer Nachkommen in erheblichem Maße.«
Ja, der Fachbegriff für die Trauer, die er beschreibt, ist ›Solastalgie‹. Das ist die Wortschöpfung des Umweltphilosophen Glenn Albrecht aus Australien, der den Bezug von Menschen zur Umwelt, in der wir leben, erforscht hat. Er sagt, es gibt psycho-terrestrische Gefühle.
Also Gefühle, die sich auf dieses Zusammenspiel von Psyche und Umwelt beziehen. Solastalgie setzt sich zusammen aus den Worten für Trost und für Schmerz – also Trost-Schmerz, der Schmerz um Orte des Trostes. Das steht auch in Zusammenhang mit der Ortsverbundenheit, der Liebe zur Heimat.
Kurz gefasst: Solastalgie ist Heimweh nach der Heimat, die verloren geht. Dann ist natürlich die Frage: Was macht Heimat für mich aus? Ist das die natürliche Umwelt? Sind das die Pflanzen, die Tiere? Aber vielleicht ist es auch ein bestimmter Lebensstandard. Solastalgie kann man nicht nur empfinden in Bezug auf klimatisch veränderte Orte. Es kann sich zum Beispiel auch um Solastalgie handeln, wenn man in die Braunkohle-Regionen schaut und Menschen da an diesem riesigen Loch stehen und traurig sind, weil der Ort, an dem sie früher gelebt haben, nicht mehr vorhanden ist.
Seit dem Erdgipfel in Rio 1992 ziehen die Karawanen von Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Lobbyisten von Konferenz zu Konferenz. Es deutet nichts darauf hin, dass wir die völkerrechtlich verbindlichen Ziele von Paris erreichen werden. Was können wir angesichts der Notlage, in der wir uns mittlerweile befinden, tun, um einigermaßen handlungsfähig und zuversichtlich zu bleiben? Selbstwirksamkeit war ein wichtiges Stichwort.
Ich glaube, es geht einerseits um die Wirksamkeitserfahrung, aber auch darum, sich Lebensfreude, Genuss, positive Aktivitäten zu erlauben. Sehr wichtig ist ein Gefühl von Sinnerleben, von wertebasiertem Handeln. Also zu sagen: Für mich ist die Umwelt ein wichtiger Wert. Für mich ist der Schutz der Zukunft meiner Kinder ein wichtiger Wert. Daran leite ich jetzt mein Handeln ab, wie von einem Leitstern, dem man folgen kann.
Und eine andere wichtige Frage, die man sich stellen kann, ist: Wenn ich später auf mein Leben zurückblicke, wer will ich dann gewesen sein? Wie will ich mich verhalten haben in diesen aktuellen Krisenzeiten? Was soll das sein, was ich hinterlasse als Vermächtnis auf dieser Welt? Sinnerleben ist ein sehr wichtiges Bedürfnis von Menschen, das uns hilft, psychisch gesund zu bleiben und das durchzuhalten, was da auf uns zukommt.
Bei ‚Fridays for Future‘ ist es gerade etwas stiller und das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden. Wie sehen Sie die Zukunft der Klimabewegung?
Na, keine Ahnung. Das war schon immer eine sehr bunte Bewegung, die einfach drauf losgelegt hat. Ich glaube, dass sich die Strategien in der Klimabewegung verändert haben. Auch die ‚Letzte Generation‘ zum Beispiel ist aufgetaucht, hat sich an Straßen festgeklebt, hat ihre Strategie verändert, will jetzt ins Europaparlament gewählt werden. Es war eine wichtige Entwicklung der For-Future-Bewegung, wegzukommen von den Schülerprotesten. Ich glaube, dass Proteste schon auch noch sehr wichtig sind und ein Element bleiben müssen. Anderseits sollten wir wegkommen von den reinen Protesten hin zur Beteiligung von Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Und dass hat darüber funktioniert, dass die ‚Parents for Future‘ aktiv waren oder berufsbezogene Gruppen wie die ‚Scientists for Future‘, die ‚Architects for Future‘, die ‚Farmers for Future‘ und ‚Engineers for Future‘ und wer sie alle sind. Sie haben den Wandel in alle gesellschaftlichen Bereiche gebracht.
Ich kann mir vorstellen, dass es einfach weniger spektakulär aussieht, was jetzt an Transformation passiert. Aber dass der Bewusstseinswandel in der deutschen Bevölkerung stattgefunden hat, das sehe ich immer wieder. Und ich glaube, dass deswegen dieser Wandel jetzt ein wenig selbstverständlicher vorangeht und nicht mehr so drastische Bilder braucht, wie das vielleicht am Anfang nötig war, um diesen Bewusstseinswandel auszulösen.
Ich bin sehr gespannt, wie wir es schaffen, Transformationen so zu gestalten, dass sie als sozial gerecht empfunden werden, so dass wir faschistischem Denken entgegenwirken und auch einer Polarisierung und Verschwörungsdenken entgegenwirken können. Ich glaube aber, dass das nicht nur Aufgabe der Klimabewegung ist, sondern Aufgabe diverser gesellschaftlicher Akteure, dafür zu sorgen, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten.
Herr Zamperoni verabschiedet sich seit einiger Zeit bei uns von den ‚Tagesthemen‘ mit den Worten: „Bleiben Sie zuversichtlich.“ Wie zuversichtlich sind Sie?
Ich glaube, mal mehr, mal weniger. Das hängt davon ab, wie die gesellschaftlichen Entwicklungen jetzt ablaufen. Ich glaube schon. Und das sagt ja auch die Wissenschaft, dass wir es noch schaffen können, das Zwei Grad-Limit einzuhalten. Die 1,5 Grad-Grenze werden wir zumindest temporär auf jeden Fall überschreiten, das steht auch schon fest. Wenn wir es aber schaffen, das CO2 der Atmosphäre zu entziehen und auf regenerative Systeme umzustellen, dann können wir es tatsächlich hinbekommen, das 1,5 Grad-Limit im Laufe mehrerer Jahrhunderte irgendwann wieder einzuhalten. Wir können es langfristig schaffen, wenn wir es hinbekommen, dem Bewusstseinswandel jetzt die Siebenmeilenstiefel anzuziehen. Das werden wir dann nicht mehr erleben. Aber dafür arbeite ich.
Interview geführt im Februar 2024:
Jörg Matzen
Das Interview in voller Länge finden Sie → hier.