Räume öffnen, Dialoge ermöglichen

Gesicht zeigen

Die offene demokratische Gesellschaft braucht Menschen, die für Freiheit eintreten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und den prinzipiengeleiteten Dialog führen.

Das Flüchtlingsthema polarisiert unsere Gesellschaft und beherrscht den medialen Diskurs. Während ein Teil der Gesellschaft eine offene Willkommenskultur lebt, gehen andere auf Distanz. In Deutschland und Europa nehmen Ab- und Ausgrenzungsprozesse bis hin zu Hass und Gewalt zu. Die offene demokratische Gesellschaft braucht Menschen, die für Freiheit eintreten, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und den prinzipiengeleiteten Dialog führen. 80 % der Wählerinnen und Wähler in Deutschland sind freiheitlich und demokratisch eingestellt. Diese Mehrheit muss sich artikulieren, um zu zeigen: wir leben in keiner ›gespaltenen Gesellschaft‹. Die ›schweigende Mehrheit‹ braucht Ermutigung durch Menschen, die ›Gesicht‹ gezeigt haben und die Geschichte einer zukunftsfesten liberalen Demokratie mit Leidenschaft erzählen.

Deshalb haben wir Künstler/innen, Politiker/- innen und Wissenschaftler/innen eingeladen, eine kurze Stellungnahme, einen Gedanken, ein Plädoyer, einen Dank, eine Herausforderung für die offene Gesellschaft zu formulieren. Unter dem Motto ›Wir zeigen Gesicht‹ veröffentlichen wir die Texte in diesem Programmheft, im Internet und bringen die Gedanken in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Wir sind zudem vernetzt mit der bundesweiten Initiative ›Die offene Gesellschaft‹, die alle Stellungnahmen auf eine gemeinsame Plattform stellt.

www.die-offene-gesellschaft.de

»Nur wer im Dialog bleibt, kann Probleme lösen«

Nur wer im Dialog bleibt, kann Probleme lösen. Das gilt erst recht in Zeiten einer polarisierten Debatte. Nicht das Reden übereinander hilft, sondern nur das Kommunizieren miteinander. Ich setze mich dafür ein, dass die Willkommenskultur für Deutschland prägend bleibt. Deutschland ist ein Exportland, das permanent in Kontakt mit anderen Ländern steht. Diese Offenheit muss auch im Land selbst gelten. Wir müssen aber deutlich denjenigen entgegentreten, die am Fundament unseres gesellschaftlichen Dialogs sägen. Wer auf der Straße diffamiert und gegeneinander aufwiegelt, will keinen echten Dialog. Gegen solche Tendenzen müssen wir entschieden die Stimme erheben.

Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

»Die europäische Integration ist eine Erfolgsgeschichte«

Die letzten Monate waren von folgenreichen Ereignissen geprägt. Es mag in Zeiten des bevorstehenden ›Brexit‹ – also der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu beenden – seltsam anmuten, die europäische Integration zu loben. Aber gerade jetzt braucht es Europäer, die daran erinnern, was diesen Kontinent lebenswert macht und warum wir die Europäische Union brauchen. In Zeiten, in denen links- wie rechtsradikale Demagogen in vielen Ländern unseres Kontinents erheblich an Zustimmung gewinnen, lohnt sich ein Blick auf die Erfolgsgeschichte der europäischen Integration. Die Worte ›Frieden‹ und ›Freiheit‹ sind für uns in Europa selbstverständlich geworden – vielleicht für den ein oder anderen zu selbstverständlich. Welch hohen Wert Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent haben, zeigt nicht nur ein Blick in die Geschichte, sondern auch ein Blick in die Krisen- und Kriegsgebiete unmittelbar an unseren Grenzen. Wir reisen vom Baltikum bis zum Atlantik, von Finnland bis nach Sizilien, ohne an irgendeiner Grenze unseren Reisepass vorzeigen zu müssen. Wir zahlen in großen Teilen Europas mit einer gemeinsamen Währung und kaufen Schuhe aus Spanien oder Autos aus Tschechien ohne Zollaufschläge. Mit Hilfe des Euro konnten wir gerade in Deutschland die Weltwirtschaftskrise überwinden. Auch die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit hilft in vielen deutschen Regionen, auch bei uns in Niedersachsen, die Folgen des demographischen Wandels abzufedern. Dies sind die Erfolge einer offenen Gesellschaft, die wir uns in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben. Anders als in totalitären Gesellschaften sind die Menschen in der Europäischen Union frei, selber zu entscheiden, was gut und was schlecht für sie ist. Sie nehmen durch freie Wahlen aktiv an der demokratischen Willensbildung teil, sie sind tolerant und akzeptieren andere Lebensformen, Religionen oder politische Weltanschauungen. Europa bedeutet Aufgabe und Verantwortung, und es ist unverzichtbar, für dieses hohe Gut einzustehen und zu kämpfen. Dafür setzen sich viele sehr engagierte Frauen und Männer jeden Tag ein. Das ist der Anspruch, den wir Tag für Tag an uns stellen sollten.

David McAllister, MdEP

»Niemand hat weniger durch Flüchtlinge«

Die meisten Menschen kommen wegen der hier anerkannten Menschenrechte nach Deutschland – sie wollen Frieden, Achtung und politische Stabilität. Lasst uns die Flüchtlingssituation als Chance verstehen. Humanistisch und christlich ist die Aufnahme von Flüchtlingen wichtig und richtig. Nach der ersten Aufnahme in den Unterkünften steht nun der schwierige, aber lohnende Prozess der Integration über Wohnen, Bildung und Arbeit an. Hier zeigt sich ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt, da die Mehrheit der Geflüchteten noch sehr jung ist. Entscheidend ist: Niemand hat weniger durch Flüchtlinge. Unser aller Ziel muss es nun sein, die Flüchtlinge hin zur Selbstständigkeit zu begleiteten, damit sie für sich und andere Verantwortung übernehmen können.

Uwe Santjer, Mitglied im niedersächsischen Landtag

»Ich sage ›Ja‹ zu kultureller Vielfalt«

Ich sage eindeutig »Ja« zu einer kulturellen Vielfalt und erhebe meine Stimme gegen Fremdenhass und Diskriminierung. Wir haben Studenten aus 66 Nationen an der Hochschule Bremerhaven. Diese leben und lernen im täglichen Hochschulalltag miteinander. Wir verstehen es als eine Bereicherung. Deshalb haben wir frühzeitig damit begonnen, Geflüchtete im Rahmen des Projektes IN-TOUCH der Hochschulen im Lande Bremen als Gasthörer aufzunehmen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. In Zusammenarbeit mit unserer studentischen Initiative ›Bunt am Meer‹ bieten wir ein umfassendes Betreuungsangebot für Flüchtlinge mit akademischem Hintergrund, um sich in den Hochschulalltag zu integrieren. Studentische Buddy-Programme, Vorlesungsbesuche und kostenlose Deutschkurse tragen dazu bei, dass sich die Geflüchteten in kürzester Zeit im lokalen Gesellschaftsleben zurechtfinden können. Sehr glücklich sind wir darüber, dass kur zfristig seitens der Politik im Rahmen einer Gesetzesnovellierung gehandelt wurde und ab Sommersemester 2017 die Geflüchteten über eine Zugangsprüfung eine Hochschulzugangsberechtigung für die Aufnahme in ein reguläres Studium erwerben können. Diese Vorgehensweise ist bundesweit einmalig. Damit öffnen wir Türen für qualifizierte geflüchtete Menschen. Darauf sind wir sehr stolz, denn ein wichtiger Schlüssel für eine gelungene Integration ist die Teilhabe an Bildung.

Prof. Dr. Peter Ritzenhoff, Rektor der Hochschule Bremerhaven

»Wir brauchen einen langen Atem«

›Reformation und die Eine Welt‹, das Thema für dieses Jahr wurde vor langer Zeit in Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 2017 festgelegt. Keiner konnte wissen, wie aktuell es 2016 sein würde, wie nahe uns im Jahr 2015 und 2016 die Eine Welt kommen würde. Die große Flüchtlingswelle vor einem Jahr hat uns gezeigt, dass wir die Eine Welt nicht aussperren können, dass wir die Folgen von Krieg und Elend nicht von uns fern halten können. Es war höchst eindrucksvoll, wie unser Land sich dem gestellt hat, wie viele Menschen hier in unserer Region dazu beigetragen haben, in den Rathäusern und Kreishäusern, in den Flüchtlingseinrichtungen, in den Vereinen, Dörfern, in den Kirchgemeinden. Das war und ist stark. Was es jetzt braucht, ist ein langer Atem. Jetzt muss es darum gehen, mit Energie und Geduld und viel Zuwendung die Integration jedes und jeder einzelnen zu fördern. Natürlich wird unser Land nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen können; das geschieht ja auch nicht. Und über unterschiedliche Positionen braucht es Debatten.  Wo es seriös möglich ist, muss das im of fenen Gespräch geschehen. Es darf keine Rede- oder Denkverbote geben. Dafür treten wir als Kirche ein und wollen dafür auch ein Ort sein. Wo aber Rassismus und Nationalismus propagiert werden – da ist ein klares Nein nötig, und das erfordert Zivilcourage von jedem von uns. Und über eins sollten wir uns keine Illusionen machen: Die Eine Welt bleibt bei uns auf der Tagesordnung. So tief kann das Mittelmeer gar nicht sein, dass Mitteleuropa auf Dauer eine ruhige Insel sein könnte, wenn drum herum Krieg und Armut he rrschen. Das zu erwarten wäre völlig unrealistisch. Vor allem: Es wäre ethisch unverantwortlich.

Dr. Hans Christian Brandy, Landessuperintendent für den Sprengel Stade

»Tief verankert ist tätige Liebe im christlichen Glauben«

»Zur Freiheit hat uns Christus befreit. In Christus Jesus gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.« – ein Satz aus dem Galaterbrief, Kap. 5, auf den ich im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum gestoßen bin. Martin Luther hat im Jahr vor der Reformation eine Vorlesung über den Galaterbrief gehalten und hierbei grundlegende Konsequenzen für den Glauben gewonnen. Mir ist dieser Satz ein konzentriertes Bekenntnis zur Hilfe für andere Menschen. Tief veranker t ist tätige Liebe im christlichen Glauben – und zwar allen gegenüber, auch und gerade den Fremden. Es sollte selbstverständlich sein und ist es ja auch für sehr, sehr viele, ihnen ein freundliches Gesicht zu zeigen. In Begegnungscafes, Familienzentren und auch Gottesdiensten erleben wir, wie freundlich Menschen miteinander umgehen können. Das stärkt auch den Glauben.

Susanne Wendorf von-Blumröder, Superintendentin des Ev.-luth. Kirchenkreises Bremerhaven

»Fortschritt ist nur möglich, wenn wir uns durch Fremdes bereichern lassen«

Als Filmemacher bin ich Viel-Reisender zwischen den Kulturen. Zum Gück treffe ich überall auf der Welt gastfreundliche und neugierige Menschen. Doch wie jeder haben auch sie einen Mechanismus in ihrem sogenannten Reptiliengehirn, der automatisch Alarm auslöst, wenn etwas Fremdes, Ungewohntes den Gesichtskreis betritt. Das muss so sein. Aber diese offenen Menschen gehen bewusst damit um. Sie haben gelernt, dass Fortschritt auf der Welt nur möglich ist, wenn wir uns durch Fremdes und durch Fremde bereichern lassen, in der Kunst, Kultur, Wissenschaft oder Wirtschaft. Ich habe vor kurzem einen afghanischen Flüchtling als Auszubildenden eingestellt, und mit Freude erlebe ich, wie er unser Team immer wieder durch kreative neue Perspektiven inspiriert.

Joerg Altekruse, Filmemacher und Produzent aus Hamburg

»Integration durch Bildung muss konsequent angelegt sein«

Die Geflüchteten sind hier. Sie haben schwierigste Fluchtwege hinter sich und sind vor Krieg, Zerstörung, Hunger und Folter geflohen. Niemand sucht sich das so aus. Sie sehen auch die Chancen, die eine Demokratie ihnen bietet; dies gilt für alle, aber insbesondere für die Frauen und Mädchen, die in einigen Herkunftsländern in Unterordnungsverhältnissen leben müss(t)en und schlechtere Chancen auf Bildung, Teilhabe und ein Leben mit selbstbestimmten Gestaltungsmöglichkeiten haben. Integration durch Sprache ist eine wichtige Grundlage. Die Weiterbildungseinrichtungen haben hier bereits sehr viel geleistet. Ich setze mich dafür ein, dass Integration als ein Prozess gesehen wird, der das ganze Individuum in seinen Teilhabebedürfnissen betrifft, d.h. berufliche Bildung, kulturelle, politische und personale Bildung sind gleichermaßen angesprochen. Bildungsketten auszubauen heißt, diese Bereiche einzubinden. Es braucht viel Zuspruch, Kommunikation, neue Beziehungsmöglichkeiten und auch Verarbeitung des Erlebten, um sich neu zu beheimaten und neue Zugehörigkeiten zuzulassen und aufzubauen. Daran sind alle beteiligt; Eine Gestaltung des Zusammenlebens gelingt nur gemeinsam. Dann bewegen wir uns auf eine Migrationsgesellschaft zu, die wir gemeinsam bewohnen.

Prof. Dr. Steffi Robak, Institut für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung, Leibniz Universität Hannover

»Solidarität mit Menschen in Not«

Der zeitweilig ungesteuerte Zustrom von Flüchtlingen im vergangenen Jahr hat unser Land, unsere Gesellschaft, vor allem aber auch Politik und Behörden vor eine in dieser Dimension völlig uner wartete Herausforderung gestellt und in Grenzbereiche geführt. Organisatorisch – das lässt sich Stand heute sagen – haben wir diese vielfach extreme Situation im Wesentlichen bewältigt. Vor allem weil – neben den Profis in Verwaltung und Organisationen – eine unendlich große Zahl von Menschen sich freiwillig eingebracht hat, um den Geflüchteten zu helfen. Hier hat sich gezeigt, dass es in unserem Land gottlob eine große Bereitschaft gibt, Menschlichkeit zu beweisen, wo Hilfe ganz persönlich von Nöten ist und die Chancen daraus nicht zu vergeben. Mag der politische Diskurs dazu ganz unterschiedlich sein: Es zählt, was unser Land in seiner Gesamtheit zu Wege gebracht hat, und das ist für mich Ausdruck von Solidarität als eine der großen Stärken unserer demokratischen und sozialen Gesellschaft. Darauf können und dürfen wir stolz sein.

Kai-Uwe Bielefeld, Landrat des Landkreises Cuxhaven